Ich frage mich, wie es weitergegangen ist, nach dem Tod meines Vaters. Wir trafen aufeinander, schlossen den Kreis enger, für eine kurze Zeit, doch am Ende springt die Tür immer wieder auf. Das Erste, woran ich mich erinnere, ist die Feder. Ich hatte Stéphane versprochen, ihm ein Foto zu schicken, er brauchte es für ein Kunstprojekt, dessen Ausstellung für den Herbst desselben Jahres geplant war. Ich verstand seine Worte nicht recht, er hatte sie wohl aus dem Französischen ins Englische übersetzen lassen, und die Sätze waren unwegsam geraten, sie brachen ab und führten in die Irre, zu lang geratene Glieder, die sich ineinander verrenken. Er schrieb etwas von einem Fresko im Refektorium der Abtei von Trizay. Von dem Tetramorph, so schrieb er, seien nur die Evangelisten Markus und Matthäus geblieben. Und von zarten Federn, einem Federflaum, den er um die Enden des Freskos von der Decke herabhängen lassen wolle, hoch über den Köpfen der Besucher. An den Wänden des Refektoriums würden seine Zeichnungen hängen, jede Zeichnung einer Feder gewidmet. Ich schickte ihm zwei Bilder, legte die Feder einmal auf weißes Papier, einmal auf den dunkelgrauen Karton eines alten Fotoalbums. Es ist die Einsamkeit, schreibt Stéphane in einem seiner Briefe, die eine Feder umgibt, wenn wir sie finden, am Boden liegend, herabgekommen, eingesunken, détachée du corps de l’oiseau. Für einen Moment öffnete sich der Himmel und ließ Sonnenlicht auf das Papier scheinen, die Schatten der Feder traten hervor, sie glitten darunter und zeichneten in dicken Strichen ihre Konturen nach. Kleinste Partikel von Laub hatten sich in der Feder verfangen, sie roch nach Tannenholz und Waldboden. Dazu schrieb ich Stéphane einen Text, einfache Sätze, in denen ich ihm erklärte, wo ich die Feder gefunden hatte, zu welcher Stunde, und dass sich im Boden ganz leicht ihre Konturen abgezeichnet hatten. Er griff sich dieses Bild heraus und wiederholte den Satz in meiner Sprache, als er mir spät am Abend antwortete. Doch sie gehörte schon nicht mehr dem Waldboden, kehrte wieder zurück in die Schwerelosigkeit. Une plume toujours représentée verticalement, comme en suspension.
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Fotografie und Text: übertage - texte aus dem off (Oktober 2022)
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